Praxiserfahrungen mit der ISO 9001:2015
Acht Monate nach dem Erscheinen der Norm ist es wieder ruhiger um die ISO 9001:2015 geworden. Sind die Hürden der Umstellung schon gemeistert? Wie sehen die Fakten und Praxiserfahrungen dazu aus? Quality Austria hat bei 200 Kunden eine Umfrage durchgeführt, um die ersten Erfahrungen mit der neuen Norm zu sammeln.
Auch wenn die Anzahl der Publikationen zur neuen Norm abgenommen hat, in der Praxis stehen wir mit der Umsetzung noch am Anfang. Mitte Mai 2016, also acht Monate nach dem Erscheinen der Norm, haben weniger als 2 Prozent der qualityaustria Kunden den Umstieg durchgeführt und sind bereits stolze Inhaber eines Zertifikats nach ISO 9001:2015. Die acht Monate entsprechen ca. 20 Prozent des Übergangszeitraum von drei Jahren. Jedoch planen ca. 40% unserer Kunden, den Umstieg im Jahr 2016 geschafft (vgl. Bild 1). Es wird also heiß hergehen in diesem Thema, noch in diesem Jahr.
Niemand beabsichtig, aufgrund der ISO 9001 Revision das Zertifikat zurückzulegen. Bedenken aus dem Vorfeld, die Anforderungen könnten zu hoch gegriffen sein, haben sich in der Praxis stark relativiert. Auch die durchgeführten qualityaustria Audits nach ISO 9001:2015 bestätigen, dass Unternehmen gut auf die Veränderungen vorbereitet sind und die Anforderungen der Norm, Trends aus der Praxis widerspiegeln.
Abb.1: Antworten auf die Frage: "Wann planen Sie den Umstieg auf die ISO 9001:2015 um?"
Wahrgenommene Herausforderungen
Die neue Norm hat einen neuen Aufbau und umfasst insgesamt sieben Anforderungskapitel. Wir haben in unserer Umfrage die Unternehmen gefragt, wie herausfordernd die Umsetzung der neuen Anforderungen aus diesen Abschnitten ist. In der untenstehenden Graphik sind die Antworten dargestellt, und zwar die Nennungen, die aufgrund der Revision keinerlei Änderungsbedarf sehen und als Gegenpol jene, die angeben, die Änderungen seien für Sie „sehr herausfordernd“ umzusetzen.
Abb. 2: Antworten auf die Frage: „Wie herausfordernd ist die Umsetzung der einzelnen Abschnitte für Sie?“
Die Antworten spiegeln die inhaltlichen Schwerpunkte der neuen ISO 9001 wider.
Im Abschnitt der „Planung“ sind die Kernanforderungen zum risikobasierten Denken enthalten, ein Thema mit großem Nutzenpotenzial für Organisationen aber auch für viele eine neue Art des Zugangs. Entsprechend ist dieses Thema für viele Betriebe herausfordernd. Als konkrete Herausforderungen nennen die Betriebe beispielsweise „die Umsetzung des risikobasierten Denkens auf allen Ebenen der Organisation“ oder „In welcher Tiefe sollen wir die Risikobeurteilung durchführen“. Die Herausforderung liegt also nicht darin, eine Methode auszuwählen, sondern ein konsistentes, schlankes und zweckorientiertes Vorgehen zu etablieren, durch das Risiken identifiziert, bewertet und Maßnahmen eingeleitet werden ohne dabei Bürokratie zu generieren oder Entscheidungen zu verzögern. Die Herausforderung liegt also in der Systematik und dem konsequenten Tun.
Erweitert wurden auch die Anforderungen an die oberste Leitung der Organisation. Hier sehen viele die Herausforderung, die „Geschäftsführung zu überzeugen“ bzw. eine „Einbindung der Führung“ zu erreichen.
Während in manchen Organisationen schon heute das Managementsystem von der Geschäftsleitung her gesteuert wird, sehen andere Unternehmensleitungen in zertifizierten Managementsystemen eher nur Dokumentationsaufwand und Bürokratie. Diese Bilder, die auf falsch verstandenen Interpretationen der Vergangenheit beruhen, hindern Unternehmen, die Nutzenpotenzale ihres Systems voll auszuschöpfen.
Wesentliche Herausforderungen werden auch im Abschnitt 7 der Norm, Unterstützung, gesehen. Diese sind primär auf das Themenfeld Wissen und Kompetenz fokussiert. Die Anforderungen zum Thema „Wissen der Organisation“ sind neu, jene im Bereich Kompetenz sind damit eng verbunden und etwas weiterentwickelt im Vergleich zur Vorgängerausgabe der Norm. Unternehmen nennen als Herausforderung „das erforderliche Wissen und die Kompetenzen der Organisation managen“ oder die „Implementierung eines wirkungsvollen Wissensmanagements auf allen Ebenen in der Firma“. Die Richtung dieser Rückmeldungen geht in die gleiche Richtung wie beim risikobasierten Denken. Es geht den Organisationen nicht darum, schnelle, präsentable Lösungen zu kreieren, sondern Durchgängigkeit und Wirkung im Sinne der Wertschöpfung zu erreichen.
In der qualityaustria Umfrage wurde auch nach dem größten Nutzen durch die Umstellung gefragt. Hier wurden die „Flexibilisierung der Anforderungen“, die „stärkere Betonung der Prozessorientierung“ und vor allem auch wieder die „systematische Auseinandersetzung mit den Themen Risiken und Chancen“ beispielsweise genannt.
Tipps aus der Praxis für die Praxis
Letztlich baten wir Organisationen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, anderen einige Tipps mitzugeben. Die formulierten Tipps betreffen nicht nur die inhaltliche Gestaltung, sondern auch den Umstellungsprozess: z.B. „Nichts Neues erfinden, das meiste ist schon vorhanden“ – weist darauf hin, sich auch bei den neuen Themen nicht sofort eine neue Methode zu überlegen, sondern zuerst zu überprüfen, welche Ansatzpunkte zu diesem Thema im Unternehmen schon vorhanden sind. „Schlanke Dokumentation, einfacher Aufbau, keine Doktorarbeit“ zielt darauf hin, den Nutzen aus dem Tun zu optimieren, jedoch dabei die Vorgaben und Dokumentation auf das notwendige zu reduzieren. Die beiden Tipps „Früh genug beginnen“ und „Mitarbeiter einbinden“ zielen darauf ab, dass gute Lösungen meist nicht im stillen Kämmerchen entwickelt werden, sondern durch das Einbinden der Betroffenen über die Prozesse und die Betrachtung der Auswirkungen auf in Wechselwirkung stehende Prozesse. Dafür sollte früh genug begonnen werden, um nicht im letzten Moment Provisorien zu schmieden, die sich dann auf lange Sicht als umständlich und aufwändig erweisen können.